„Das Beste draus zu machen und möglichst viele Menschen auf dem Weg positiv mitzunehmen – das ist vielleicht die wichtigste Lektion.“
Ein Interview mit Charlotte Thiele
Was bedeutet Dir die persönliche Begegnung mit einem Musiker wie Frank Peter Zimmermann?
Solche „Legenden“ wie Frank Peter Zimmermann oder Augustin Hadelich persönlich zu treffen und sogar vorspielen zu dürfen, ist einfach eine unbezahlbare Erfahrung!
Besonders berührt hat mich, wie nahbar und zugewandt sie waren – Musiker, die ich jahrelang nur von Aufnahmen kannte, standen plötzlich ganz real vor mir, waren so freundlich und inspirierend.
Und nach diesem Moment der Begegnung hat sich auch die Verbindung im Konzert verändert. Man hört anders zu, fiebert anders mit. Diese Konzerte waren für mich etwas ganz Besonderes.
Was verbindest Du mit der Giuseppe-Sinopoli-Akademie? Was macht sie besonders für Dich?
Die Giuseppe-Sinopoli-Akademie ist innerhalb kürzester Zeit zu einer Art Zuhause geworden.
Vielleicht liegt das auch an meinem persönlichen Bezug zur Semperoper: Einen großen Teil meiner Kindheit habe ich hier im Kinderchor verbracht und meine Leidenschaft für die Oper entdeckt. Natürlich ist es ganz besonders, mit meinem Bruder Friedrich im Orchester zu spielen. Das fühlt sich nach Heimat an.
Aber auch ohne diese Vorgeschichte hätte ich hier Menschen getroffen, die inspirieren, die einen mitnehmen.
Was uns alle verbindet, ist diese Liebe zur Musik, zur Oper. Selbst wenn es mal Reibung gibt, ist es die Musik, die wieder zusammenführt. Wie ein gemeinsamer Atem, der uns im Zweifelsfall wieder an denselben Ursprung erinnert.
Was ist das Wichtigste, was Du aus zwei Jahren als Konzertmeisterakademistin mitnimmst? Was hast Du als Musikerin und als Mensch gelernt?
Das lässt sich in einem Interview kaum zusammenfassen – darüber könnte ich fast ein Buch schreiben.
Natürlich ging es um vieles, was man erwartet: Opern lernen, gute Soli spielen, mit Druck umgehen.
Aber das, was am tiefsten geblieben ist, war etwas anderes: Ich habe gelernt, mit offenen Ohren und Empathie auf Situationen und Menschen zuzugehen und die eigenen Befindlichkeiten manchmal hintenanzustellen. Dass man führen kann, ohne laut zu sein. Und dass Haltung nicht damit beginnt, wie man auftritt, sondern wie man zuhört.
Egal wie die Umstände sind: das Beste draus zu machen und möglichst viele Menschen auf dem Weg positiv mitzunehmen – das ist vielleicht die wichtigste Lektion.
Wie ist der Kontakt unter den Akademisten und die Möglichkeit, mit ihnen zusammen zu arbeiten, von und mit ihnen zu lernen?
In einem Opernorchester verbringt man wahrscheinlich noch mehr Zeit miteinander als in einem Sinfonieorchester. Das verbindet. Da entstehen Gespräche in den Pausen, ein Gefühl für den anderen beim Spielen, man merkt schnell, mit wem es musikalisch einfach „klick“ macht.
Mit einigen Akademisten habe ich direkt Kammermusikkonzerte geplant, weil es so gut gepasst hat.
Es ist schön, mit Menschen zu musizieren, die man auch zwischen den Zeilen versteht.
Was war am schönsten?
Als Geigerin träumt man immer davon, die großen Konzertmeister-Soli spielen zu dürfen.
Für mich war es ein Geschenk, gleich zu Beginn meiner Akademiezeit und dann auch zum Abschluss mehrmals die Soli in Tschaikovskys „Schwanensee“ zu spielen.
Diese Soli haben mich begleitet wie ein innerer Monolog. Mit der Zeit wurde es zu einer Stimme, die immer mehr mir gehörte. Dabei konnte ich zeigen, was ich gelernt habe und für mich entdecken, wie sehr mentale Vorbereitung das Spiel prägt. Das war ein spannendes Langzeitprojekt für mich.
Und was war das schönste Projekt für Dich?
Ganz besonders war „Hänsel und Gretel“. Ich liebe diese Musik einfach. Vielleicht auch, weil ich damit die schönsten Kinderchor-Momente verbinde. Ich hatte das Gefühl, dass sich da ein Kreis geschlossen hat. Diese Oper ist für mich Erinnerung und Gegenwart zugleich – und ich könnte sie wahrscheinlich unendlich oft spielen, ohne dass sie je ihre Magie verliert.
(Dort gibt es übrigens auch wunderschöne, kleine Konzertmeister-Soli über das ganze Stück verteilt.)
Wem würdest Du empfehlen, sich an der Giuseppe-Sinopoli-Akademie zu bewerben?
Ich würde die Akademie allen empfehlen, die diesen Weg wirklich einschlagen wollen. Normalerweise wird man nach einem Probespiel direkt ins kalte Wasser geworfen – hier hat man die Möglichkeit, vorher zu lernen, zu reflektieren, zu wachsen. Es ist eine große Chance, Dinge zu erfahren, für die im Probejahr oft keine Zeit mehr bleibt.
Für mich war diese Zeit entscheidend – nicht nur fachlich, sondern auch persönlich.
Sie hat mich so gut vorbereitet, dass ich inzwischen regelmäßig als Gast-Konzertmeisterin in zahlreichen Orchestern eingeladen werde. Dabei lerne ich viele verschiedene Klangkulturen kennen. Ein Geschenk, das ich sehr schätze.
Wenn Du mit einem Satz sagen müsstest, was Du mit der Sächsischen Staatskapelle verbindest…
Die Staatskapelle ist mein Heimatorchester – und jetzt noch mehr als je zuvor! Ich identifiziere mich mit dieser feinen Art zu begleiten, mit dem warmen, kammermusikalischen Klang und natürlich mit der wunderschönen Semperoper.
Wie hat sich Dein Blick auf das Orchester verändert durch die Akademiezeit?
Viel verändert hat sich eigentlich nicht - eher vertieft. Ein paar Vorurteile konnte ich loslassen, ein paar Herausforderungen haben sich bestätigt. Aber überrascht war ich vor allem davon, wie viel ich als Konzertmeisterin tatsächlich mitgestalten kann, wie viel Einfluss man auf Klang, Agogik und Atmosphäre hat. Das macht richtig Spaß! Es ist, als würde man eine Farbe in ein bestehendes Bild setzen und sehen, wie sich die ganze Stimmung verändert.